Verbrennungen
VILLA SCHÖNINGEN An der Glienicker Brücke Ein Deutsch-Deutsches Museum
Im Rahmen der Anselm Kiefer Ausstellung EUROPA
10. Oktober 2010 Uraufführung des filmischen Essays “Verbrennungen” zu Hyperion oder Ein Eremit in Griechenland von Andrea Conrad mit Kompositionen von Georg Friedrich Haas Streichquartett I und II, Einspielung Kairos Quartett; in den Hauptrollen Moritz Führmann, Amelie Conrad, Sabine Scholze und Patrick Walliser
es spricht Moritz Führmann
Moritz Führmann, Sabine Scholze, Patrick Walliser
Das Projekt wurde gefördert von der Deutschen Bank
“Über den Tod hinaus
An der Brücke zwischen den Welten
Fünf Jahre arbeitete die Berliner Regisseurin Andrea Conrad am Hölderlin Zyklus „Der Sonne Peitsch und Zügel” für sieben Werke an der Nahtstelle deutscher Geschichte, Glienicker Brücke zwischen Potsdam und Berlin. Im Rahmen der Anselm Kiefer Ausstellung, (von Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffnet), zeigte die Villa Schöningen, Deutsch-Deutsches Museum und Galerie für zeitgenössische Kunst an der Glienicker Brücke, Potsdam, am 10.10.2010 die Uraufführung „Verbrennungen” von Andrea Conrad, ein filmisches Essay zu Hyperion oder Ein Eremit in Griechenland mit Kompositionen von Georg Friedrich Haas Streichquartett I und II. Es sprach Moritz Führmann, Schauspielhaus Düsseldorf.
Verbrennungen bildet den Abschluss des Hölderlin Zyklus, den die Künstlerin Andrea Conrad diesem historisch bedeutsamen Ort deutscher Geschichte widmete. „Verbrennungen” zeigt den Zustand der Implosion; einen nach innen gerichteten Monolog, Bildsequenzen, gespeist aus Gegenwart und Vergangenheit. Eine Sprache, die sich zu vereinigen sucht, wobei die Kompositionen Streichquartett I und II von Georg Friedrich Haas die hochartifizielle Sprachkunst Hölderlins wie Lebensfäden in Filmbilder einweben.
Umgeben von Anselm Kiefers Werken – darunter „Europa” – richtet sich Hyperion, auf der Suche nach einem dem Menschen angemessenen Dasein, im oberen Geschoss der Villa Schöningen ein. Ein Drittel des Raumes, in dem Hyperion (Moritz Führmann) agiert, assoziieren das Hier und Jetzt. Ein Tafeltuch mit streng gebügelten Linien, den Maßen des Bildes der Europa von Anselm Kiefer entsprechend (280 x 330 x 35 Öl, Emulsion, Acryl, Schellack, Stroh auf Leinwand unter Glas), verhüllen das Kunstwerk und dient so Hyperion als Projektionsfläche seiner inneren Bilderwelt. Ein ebenfalls weiß verhüllter leerer Stuhl lässt vermuten: die große Seherin ist tot.
Mit dem Ruf “Wohin denn ich!?” löst Hölderlin in seinem Briefroman Hyperion eine grundlegend existentielle Frage des Menschseins aus: Hölderlin, der auf Erden Heimatlose und Ungesicherte sucht nach dem Ort, an dem der Mensch sein ihm angemessenes Dasein finde. Gleich zu Beginn führt Andrea Conrad den Betrachter mit Hölderlins Sätzen unmissverständlich in aktuelle Gegenwart: „Bauen möcht…, und neu errichten, es fehlet aber das Geld, denn zu viel ist ausgegeben heute” . Bauen, Aufbauen, Abriss, Zerstörung, ein Ausdruck der Suche nach Formgebung, jenseits der Brücke „zwischen den Welten…”.
Emphase will bei Führmann angesichts der Bau-Metaphern nicht aufkommen, wenn er mit hölderlinschem Text Bilder gigantischer Stahlträger in Berlin kommentiert, verplant für „Burj Dubai”, dem höchsten Gebäude der Welt, in seinem Inneren tausende Tonnen Stahl des abgerissenen Ost-Berliner „Palast der Republik”. Noch liegen sie auf umgewälztem Boden; durch einen Stahlwinkel der Kamerablick auf ein Riesenrad, das schaufelnd mit leeren Gondeln gegen die Zeit fährt, während Hyperion verzweifelt gegen das Treiben zitiert: „Inzwischen bricht er auseinander und treibt hin und wieder seine Künste mit sich selbst, als könnt er, wenn es einmal sich aufgelöst, Lebendiges zusammensetzen, wie ein Mauerwerk aber es macht ihn auch nicht irre, wenn nichts gebessert wird durch all sein Tun. Es bleibt doch immerhin ein Kunststück, was er treibt.” Stahl und Beton, die Kamera mit dem Auge des Betrachters, führt in Mikrostrukturen, als wolle sie noch einmal in die Tiefe dunkler, deutscher Geschichte führen. Bildflirren und Schwirren der Streicher – Schnitt – 17 Jahre Demokratie; noch immer auf der Suche nach der Einheit. Trostlose Bilder runtergekommener DDR Architektur, Bausünden der Nachkriegszeit,… “ein untergehender Mond verstrickt in Seilen”… (Conrad Text) und wenige Sekunden später, brennen Spiegelungen aufgehender Sonnen „Löcher in blinde Scheiben”. (Conrad Text)
Ortswechsel East Side Gallery längste Mauergalerie Berlins, bis auf den nackten Beton erblasst, Hyperions Phantasien schweifen, und dort, wo die Natur das Bild ausgewaschen hat, projiziert Hyperion sein großes Bild von Eros: auf der anderen Seite, im Licht, schwebende Bilder der Erinnerungen an das hohe Ideal der Liebe, Diotima, Priesterin in Platons Symposion und als Mittlerin zur reinen Idee des Schönen erhoben.
Zeitdokumente, Conrads Kunstbilder wie Momentaufnahmen des Inneren, Bildsequenzen die sich zu Standbildern formen, um dem Augenblick – Bild, Sprache und Klang – einen Raum der Konzentration und Meditation zu geben, drängen sich in streng ästhetisierter Form dicht aneinander, fließen ineinander, verleihen so dem Rausch und der Schnelllebigkeit einen einzigartigen Ausdruck. Führmann kommentiert, als wolle er mit der Musik von Haas verschmelzen und sich den drängenden Bildern der Gegenwart entziehen.
Torsi jugendlicher Schönheit; nackte Haut mit Hölderlin-Text beschrieben; ein sinnlicher Akt, gebunden in weißes Tuch; Bilder, die am Ende der Unsterblichkeit widersprechen. Das Verhältnis des Schönen zum Guten scheint gebrochen, das Streben nach Weisheit und Einsicht zur philosophischen Floskel verkommen. Und wieder weiß, ein Blütenmeer, Ankunft Arkadien; Hingabe in der Natur. Das Verschmelzen Hyperions mit Diotima im Liebesduett geben dem Betrachter für einen Augenblick Ruhe und Einkehr, bevor Haas Musik mit schneidender Schärfe den paradiesischen Zustand zertrennt und die versöhnende Stimme Führmanns den Wehklang der Zeit mit großen Sprachbildern Hölderlins zu einer groß empfundenen Lebensschwinge vereint.
Bildrechte Gunnar Conrad
Artikelbild Bildrechte Gunnar Conrad